Geistlicher Impuls vom 22. Juni: Wohin mit der Wut?

von Anne Gravendyk, Pastoralreferentin

Schon wieder hat uns das Coronavirus stark im Griff. Vieles ist wieder unsicher geworden und steht auf der Kippe. Ein erneuter Lockdown ist das letzte, was wir uns derzeit wünschen. Gleichzeitig ist er wieder bedrohlich nahegekommen. Hoffen wir mal, dass er uns erspart bleibt. Denn jetzt schon hat der schwere Ausbruch viele ungewünschte Auswirkungen. Die Kinder, die sich sehr gefreut haben, als sie wieder zur Schule gehen konnten und ihre Freunde wiedergesehen haben, sind schwer enttäuscht. Gerade für die, die nach den Ferien die Schule wechseln, ist es ein sehr abruptes Ende ihrer Grundschulzeit. Wie soll man sich da auf die Sommerferien freuen?

Verständlich, wenn sich Wut breit macht, weil Verantwortliche ihre Verpflichtungen nicht wahrgenommen haben. Doch sollten wir nicht vergessen, dass diejenigen, die jetzt infiziert und erkrankt sind, nicht die sind, an die sich diese Wut richten sollte. Sie sind bestimmt die falsche Adresse und ebenso Opfer eines mehr als fragwürdigen Systems geworden.

Nur wohin mit der Wut, die sich ansammelt? Für die meisten Menschen gibt es kaum Möglichkeiten, sie an angemessener Stelle loszuwerden. Könnte Gott ein Adressat sein, um sich ein wenig Luft zu verschaffen?

Ich habe ein bisschen in der Bibel gestöbert, und siehe da: Auch dort gab es wütende, zornige Menschen, die über Ungerechtigkeiten geklagt haben und sie Gott anvertrauten. Insbesondere Paulus hat in seinen Briefen immer wieder zu dem Thema geschrieben. Anscheinend lief in den jungen Christengemeinden und in ihrem Umfeld auch nicht alles glatt. Auch damals hatten die Menschen Anlass wütend zu sein, weil es Ungerechtigkeiten gab. Auch damals gab es Unverantwortlichkeit und Rücksichtslosigkeit.

Doch was schreibt Paulus zu dem Thema?

In seinem Brief an die Gemeinde in Rom schreibt er: „Denen, die beharrlich Gutes tun und Herrlichkeit, Ehre und Unvergänglichkeit erstreben, gibt er ewiges Leben, denen aber, die selbstsüchtig sind und nicht der Wahrheit gehorchen, sondern der Ungerechtigkeit, widerfährt Zorn und Grimm.“ (Röm 2,7-8) Also: Wer ungerecht und egoistisch ist, braucht sich über Wut und Zorn nicht zu wundern.

Doch Paulus warnt auch vor einer Übermäßigkeit der Wut. Sie sollte nicht dazu verleiten, sich gewalttätig Luft zu verschaffen – weder verbal noch körperlich. Denn das kann auch nicht die Lösung sein. In Paulus‘ Brief an die Gemeinde in Ephesus heißt es: „Jede Art von Bitterkeit und Wut und Zorn und Geschrei und Lästerung mit allem Bösen verbannt aus eurer Mitte! Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, wie auch Gott euch in Christus vergeben hat.“ (Eph 4, 31-32)

Und was heißt das nun für uns? Für unsere Coronasituation?

Es ist gut und richtig, wenn Verantwortliche jetzt Rechenschaft ablegen müssen für ihr Tun und Lassen. Und ich bin überzeugt, dass wir mit unserer Wut, unserem Zorn auch zu Gott kommen und uns beklagen dürfen. Ich habe keinen Zweifel, dass bei ihm Recht und Unrecht klar unterschieden werden.

Impuls von Anne Gravendyk, Pastoralreferentin